Auf der Couch mit einem Geist

João Gilberto ist weltberühmt. Als Erfinder und bedeutender Interpret der Bossa Nova. Ebenso berühmt ist seine Exzentrik und sein Eigensinn – um ihn ranken sich allerlei Mythen, Gerüchte und Legenden. In Brasilien bekommt man ihn fast nie zu Gesicht; nur äußert selten verlässt er sein Apartment. Wenige Vertraute haben direkten Zugang zu ihm. Selten gibt er Konzerte oder veröffentlicht neue Alben.

Deshalb galt es als Sensation, dass 1991 bei Polygram das Album „João“ erschien. Ein sehr schönes Album, auch wenn die Arrangements von Clare Fisher vielleicht eine Nuance zu weit im Vordergrund stehen.

Ich hatte ca. vier Jahre später erstmalig “direkte” Gespräche (Telefonate & Faxe) mit João – er äußerte Interesse daran, ein neues Album aufzunehmen. Gemeinsam mit meinem französischen Kollegen Jean-Philippe Allard, der bereits bewiesen hatte, dass man auch mit schwierig einzuschätzenden Künstlern hervorragend arbeiten kann, schickte ich João ein Angebot. Unser Vorschlag blieb unbeantwortet.

1998 hatte ich dann endlich die Gelegenheit, João live zu erleben. Für unsere Motor-Music-Homepage fasste ich das Erlebnis damals zusammen – ich fand meinen kleinen Reisebericht kürzlich wieder. Hier ist er:

„Ich hatte fast alle großen Brasil-Stars live erlebt: Tom Jobim, Caetano Veloso, Marisa Monte, Gilberto Gil, Tim Maia, Baby Consuelo, Baden Powell, Chico Buarque … doch einer fehlte: João Gilberto!

Dann bekam meine Frau Cristina das Angebot, João als  Tourmanagerin zu begleiten. 7 Solokonzerte in 5 Wochen – drei in den USA, vier in Italien. Lohn und Locations stimmten … und es gibt Schlimmeres, als mit dem Erfinder des Bossa Nova auf Tour zu gehen. Oh ja?

Die Tour startete in New York: Carnegie Hall. Es muss ein großartiges Konzert gewesen sein. João war bester Laune … doch bereits einen Tag nach diesem Konzert änderte sich sein Gemütszustand. Die geplante “grosse Travellingparty” bestand neben  Cristina und João aus dessen Arzt, seinem Manager und seiner Tochter Bebel! Bereits vor dem zweiten Konzert (in San Francisco) stiegen Bebel und Joãos ärztlicher Beistand aus. Es gab ständig Komplikationen: mit dem Hotel, mit dem Service, mit der Matratze … schliesslich wurde der Manager  mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus eingewiesen und fiel für den Rest der Tour aus!

Die Reisegruppe kondensierte auf Cristina, Joãos Sohn (aus der Ehe mit Astrud)  und João. Und es wurde diffizil: die Check-Out-Termin wurde selten eingehalten, weil João sich weigerte, die Hotels zu verlassen. Das führte logischerweise zu allerhand Komplikationen mit den diversen Hotelmanagements, da die Zimmer bereits anderweitig verbucht waren.

Kurz vor dem dritten Gig (in Miami) war Cristina dann so weit, ebenfalls auszusteigen. Täglich Tränen am Telefon: sie konnte die Spannungen nicht mehr ertragen. Ich versuchte, sie aufzumuntern – aus nahe liegenden Gründen, aber auch, weil ich das Konzert in Turin sehen (und hören) wollte. Mein Freund Ulli Maier aus Düsseldorf und ich hatten bereits Wochen zuvor den Flug nach Turin gebucht – wir wären notfalls auch auf  Knien  gerutscht.

João überzeugte Cristina letztlich doch, dass sie mit nach Italien kommen solle. Mittlerweile war allerdings auch die Freundin von João eingetroffen, was selbstverständlich für weitere Turbulenzen sorgte.

Das erste Italien-Konzert war dann in Turin auf dem Marktplatz. Es war ein herrlicher Sommerabend – warm und ewig hell – aah, Bella Italia!

João kam pünktlich auf die Bühne, und sein Konzert war pure Magie. Er spielte anderthalb Stunden lang bekannte und weniger bekannte Titel – es kam mir vor wie zehn Minuten. Ich war in Trance – so etwas hatte ich noch nicht erlebt. Jede Viertelstunde läuteten die Kirchenglocken – João baute ihren Klang in seine Songs ein (!), und nach dem Set gab er noch eine Zugabe. Danach verließ er – wie immer fluchtartig – das Venue: von der Bühne direkt in die Limo und dann sofort ins Hotel.

Ulli und ich schlenderten nach diesem Ereignis völlig benommen durch das nächtliche Turin. Nach Mitternacht erreichte ich unser Hotel und freute mich auf das Wiedersehen mit Cristina: immerhin hatten wir uns fast drei Wochen nicht gesehen. Sie kam mir gleich am Eingang mit Joãos Freundin entgegen. Die beiden waren gerade auf dem Weg in die Hotelküche, um für João ein Steak zubereiten zu lassen (well done – but not dry!). Als die Freundin mich sah, bestand sie darauf, dass ich jetzt auf der Stelle unbedingt João treffen müsse. Ich wusste nicht so recht … doch sie zerrte mich zu ihm. Er begrüßte mich sehr freundlich, sagte, dass er mich von der Bühne aus gesehen habe (wir kannten uns nicht – er wusste trotzdem Bescheid). Dann verließ er zügig das Zimmer und verfügte sich nach nebenan: in sein Schlafzimmer, ein Matratzenlager. Joãos Freundin folgte ihm. Ich vernahm einen heftigen Wortwechsel und absentierte mich vorsorglich.  Eine Viertelstunde später kam sie sehr aufgebracht in unser Zimmer, in der Hand Joãos Gitarre. Sie hatte einen handfesten Streit mit ihm.

Am nächsten Morgen sollte die Reisegruppe das Hotel um 10:00 verlassen. Aber nein – João weigerte sich einmal mehr, die Reise anzutreten. Also hatte ich noch einen Tag mehr mit Cristina.

Der nächste Abreisetermin war für den kommenden Mittag um 14:00 vorgesehen, und mein Taxi war für 14:30 bestellt. So verabschiedeten Cristina und ich uns nach dem Frühstück, damit sie sich um die Abreise ihres Künstlers kümmern konnte. Als ich ins Hotel kam, war wiederum alles anders – die Abreise war erneut um einen Tag verschoben worden (und wieder gab es endlose Diskussionen mit der Hotelleitung, den Reisebüros, den Promotern…). Ich nahm meinen Koffer und wollte gerade ins Taxi steigen, als mich der Portier rief und mir mitteilte, dass für mich ein Anruf an der Rezeption warte. Es war João: “Christian, it was so nice to meet you. Please join us for my concert in Rome!“ Ein verlockendes Angebot, aber ich musste wieder zurück nach Hamburg, da dort wichtige Termine anstanden.

Als ich am nächsten Tag mit Cristina telefonierte, betonte sie, dass der Meister mich weiterhin unbedingt zum Rom-Konzert einladen wolle. Keine Frage, ich buchte den Flug, und am Nachmittag ging es direkt von Hamburg nach Rom. Pünktlich zum Konzert war ich in der Open-Air-Venue. Wieder verfiel ich in Trance – etwas, was ich nur bei einem João-Konzert erlebt habe. Neben mir saß erstaunlicherweise Robert Palmer mit seiner Familie. Er rauchte unbeirrt eine Zigarette nach der anderen, obwohl João mehrmals von der Open-Air-Bühne darum bat, das Rauchen einzustellen, da es seiner Stimme schaden würde.

Zu meiner Überraschung sollte nach dem Konzert ein Treffen in Joãos Suite stattfinden. Palmer wartete schon mit seinen beiden Kindern in unserem Hotelzimmer. Er war auf Einladung von Joãos Sohn da, der als Toningenieur die meisten Konzerte betreute – er hatte Palmer ein paar Tage zuvor zufällig in einem Mailänder Restaurant getroffen. Palmer war ein großer Fan von João, und deshalb flog er mit seiner ganzen Familie zu dem Rom-Konzert ein. Ich hatte wiederum, bis dato, viel übrig für Palmer – er hatte einige tolle Platten, Plattencover und Videos hervorgebracht. An diesem Abend mochte ich ihn allerdings weniger: er redete ununterbrochen von sich selbst, ließ keinen Dialog zu, lästerte ständig über Polygram-Songs (!), rauchte erbarmungslos Kette (er starb mit nur 54 Jahren an einem Herzinfarkt) und kippte einen Whisky nach dem anderen, übrigens auf meine Kosten. Nach zweistündigem Rockstar-Monolog wurden wir, Palmer, seine Kinder, Cristina und ich, in Joãos Suite gebeten. João war offenbar ebenfalls irritiert von Palmer, der seinen Monolog ansatzlos fortsetzte und ununterbrochen betonte, wie toll er João Gilberto fände. Dann erwähnte Palmer, dass er heute einen Song geschrieben habe – und fing an, diesen zu singen! Glücklicherweise waren die Kinder sehr müde (es war drei Uhr morgens), und die Palmers gingen endlich zu Bett.

João, der bis zu diesem Zeitpunkt nur Portugiesisch gesprochen hatte, machte sich nun locker und wechselte zu Englisch. Ich sprach ihn auf Songs an, die er in Rom neu im Programm hatte, wie den Titel „Malaga“. Daraufhin nahm er seine Gitarre in die Hand und spielte das Stück für mich. Ein Traum: João sitzt auf dem Sofa mit seiner Gitarre, wir gegenüber mit einem Gläschen Wein, dabei unterhalten wir uns über seine alten Alben, über Claus Ogermann (den Arrangeur und Komponisten), über dies und das … und immer wieder stimmt er zwischendurch den einen oder anderen Song an. Sehr locker, sehr ungezwungen, sehr herzlich.

Dann brach der Tag an. Ich musste zurück nach Hamburg – dieser Traum war vorbei. Allerdings! Am Abend rief Cristina wieder tränenüberströmt an – es gab weitere organisatorische und emotionale Zerwürfnisse …“

 

So weit mein Originalbericht aus dem Jahre 1998. João beendete seine Tour unangekündigt in Perugia auf dem Umbria-Jazzfestival. Er trat dort im Duo mit Caetano Veloso auf. Ja, freiwillig. Wie kam es dazu? Ganz einfach: Der Festivalleiter wusste um eine Leidenschaft von João: eine sehr gute Matraze. Joao hatte nicht vergessen, daß er in Perugia gut gebettet ist. Deshalb  nahm er eine Einladung vom Festival und von Caetano an und kam für einige Songs auf die Bühne. Es war laut Cristina ein weiteres musikalisches Highlight auf der Tour.

Wenn ich heute an João denke, denke ich auch an den Buchautor und Journalisten Marc Fischer. Der kam aus der gleichen Ecke Hamburgs wie ich (Alstertal). Wir kannten uns flüchtig. Einmal jährlich rief er mich an und bat hektisch um “dringenden” Rückruf – meistens recherchierte er gerade an einer Geschichte. Auch 2010 war er wieder da, diesmal auf der Suche nach dem Kontakt zu João. Er plane, ein Buch über ihn zu schreiben. Diesmal rief er zum falschen Zeitpunkt an. Cristina war gerade sehr beschäftigt mit ihrer Idee einer großen „Neoconcretismo“-Ausstellung in der Akademie der Künste und ich steckte mitten in den Vorbereitungen für das Weihnachtsgeschäft.

Also machte sich Marc alleine auf die Suche nach João. Er ging nach Brasilien und traf dort viele Weggefährten, die João kannten. Sein Wunsch, den Künstler persönlich zu treffen, erfüllte sich allerdings nicht. Das hinderte ihn aber nicht daran, das wunderbare Buch „Hobalala – Auf der Suche nach João Gilberto“ zu schreiben.

Einen Monat vor der Veröffentlichung rief Marc wieder bei uns an: Er benötige Freigaben für den Abdruck von Texten – und er plane eine Release-Party in der Bar „Tausend“. Diesmal konnten wir ihn unterstützen und vermittelten ihm die nötigen Kontakte. Doch erlebte er weder die Party noch die Veröffentlichung des Buches, denn Marc Fischer setzte vorher seinem Leben ein Ende. Schock!

Ein paar Wochen nach dem tragischen Ereignis schrieb Cristina in ihrer regelmäßigen „O Globo“-Kolumne (Chefkolumnist: Caetano Veloso) über das Buch. Daraufhin wurde ein bedeutender brasilianischer Verlag aufmerksam, lizensierte die Rechte für Brasilien und veröffentlichte es dort.

Kürzlich erfuhren wir, dass auch João das Buch gelesen habe, es sehr schätzt und dass er es ausserordentlich bedauert, Marc nicht getroffen zu haben. Seine damalige Freundin hat, vermutet man, Marcs Briefe abgefangen…

„Hobalala“ soll, so hört man, einen Ehrenplatz bei ihm im Regal haben – neben Yoganandas „Autobiographie eines Yogi“ …

5 Kommentare

  1. Bernd Jonkmanns am

    Was für irre Joao Gilberto Geschichten…vielen Dank !!
    Grosser Gilberto Fan und EX-Reisekumpel von Marc Fischer.. auf vielen Reisen
    mit Ihm sehr oft Bossa und Gilberto gehört.. Tolles Buch vermisse die Momente
    unserer Abenteuer….Marc….Dein Bueno

  2. Michael Rank am

    Hi Christian, habe gerade im Sonnenuntergang Deinen Text gelesen, der mir sehr gut gefiel und höre nun Louco. Ich hoffe es geht Euch gut in Rio. Liebe Grüsse, um abraco e ate logo, Michael

  3. Frank Jastfelder am

    Wunderschöne Geschichte. Den Traum hätte ich auch gern erfüllt bekommen. Und Marc Fischers Buch ist für mich wahre saudade. Jetzt muss ich “Amoroso” hören.

  4. Clara am

    Lieber Christian,
    auf der suche nach euren “Liebe Paradiso” habe ich dein Blog gefunden und diese herrliche Geschichte gelesen ;)) Tolle Erfahrung und schön geschrieben.
    Bis am Wochenende im HH.
    Beijinhos

    Clara

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