KICKS AFTER KICKS ON ROUTE 66

„Und wo feierst Du Deinen 66-jährigen Geburtstag?“, fragte ein Freund meine Frau. „Auf der Route 66!“, war ihre spontane Antwort. „Gebucht!“, war meine sofortige Reaktion.  Die Präsidentenwahl war noch in weiter Ferne. Hätten wir das alles vorher gewusst, hätten wir vermutlich die Reisepläne verschoben und wären die B66 von Barntrup nach Bielefeld runtergefahren.

Nun also in die USA. Noch nie bekamen wir so viele Reisewarnungen von Freunden und Bekannten. Brasilien, Argentinien, Peru, Mexiko – alles easy! Doch nach Amerika? Jetzt? Natürlich waren wir besorgt, denn es häuften sich die Meldungen von Fällen, bei denen Touristen die Einreise verweigert wurde oder erstmal in Haft genommen wurden.

Doch Überraschung: wir wurden freundlich, schnell und unkompliziert empfangen.  Vielleicht lag es am Einreiseort Charlotte, denn dort herrschte schon im Flughafengebäude ein lässiger Südstaaten-Vibe. Mit einladenden Schaukelstühlen, die im Flughafenfoyer platziert waren.

Die Route 66 startet eigentlich in Chicago. Doch da Ende März das Big Ears-Festival in Knoxville/Tennessee angekündigt war, nahmen wir es mit unserer Planung nicht ganz so genau. Knoxville wurde so der Startpunkt unserer Reise. Knoxville war noch frisch bei mir gespeichert, da ich gerade den aktuellen Roman „Demon Copperhead“ von Barbara Kingsolver gelesen hatte. Dort besuchen Hinterwäldler aus Virginia die „Großstadt“ Knoxville.  Doch wenn man wie wir die USA nur aus dem Blick von New York, Los Angeles oder San Francisco kennt, dann fühlt sich Downtown Knoxville wie eine gemütliche Kleinstadt an. Nur am Wochenende knattern ein paar Halbstarke mit krachenden Motorrädern über die eine Hauptstraße. Das waren sie, die Hinterwäldler.

Das Festival in der Kleinstadt hat Weltformat. Ein Top-Line-Up: Beth Gibbons, Charles Lloyd, Julia Holter, Jessica Pratt, Anohni and the Johnsons, Taj Mahal, Arooj Aftab, Michael Rother, Sun Ra Arkestra & Yo La Tengo, Philip Glass Ensemble, Rufus Wainwright, Darkside, Bill Frisell, Wadada Leo Smith mit unterschiedlichen Projekten u.v.a.. Daneben Vorträge, Interviews und selten gezeigte Filme.

Ein amtliches Festivalprogramm: Big Ears in Knoxville/Tennessee

Den Auftakt zum Festival machten die vier renommierten Kritiker Nate Chinen, Ann Powers, Marcus J. Moore und Ashley Kahn mit dem „Critic’s Pick“. Sie pickten nicht die offensichtlichen Headliner (s.o.), sondern die kleingedruckten Künstler. Auf die Kritiker war Verlass – zwei der Tipps waren unsere Highlights: der 15-jährige Mandolinenvirtuose und Sänger Wyatt Ellis und die Band SML. Direkt im Anschluss an das Kritiker-Panel starteten vier Tage Musik aus unterschiedlichsten Genres. Inklusive überraschender Kollaborationen wie dem Zusammentreffen des Sun Ra Arkestra‘s und Yo La Tengo, was letztlich besser auf dem Papier aussah als es dann tatsächlich klang.

Kurzweilig war der zweistündige audio-visuelle Vortrag von Joe Boyd. Boyd war Produzent der legendären Nick Drake-Alben, sowie von Fairport Convention, der Incredible String Band und den ersten Pink Floyd-LPs. Er stand auch am Mischpult als Bob Dylan seine elektrische Gitarre beim Newport-Festival anstöpselte. Später gründete er das Hannibal-Label und arbeitete mit Künstlern aus aller Welt zusammen. Weltmusik nannte man das früher. Nun hat er in den letzten Jahren sein knapp 1000-seitiges Buch „And the Roots of Rhythm remain“ fertiggestellt und erstmalig eine Essenz daraus vorgestellt. Den Anstoß für das Buch gab eine Musikproduktion, die er in New Orleans mit dort ansässigen Musikern und Musikern aus Kuba machen wollte. Das funktionierte nicht. Er suchte nach den Gründen für das Scheitern: die versklavten Menschen in New Orleans und Kuba kamen aus unterschiedlichen Regionen Afrikas, was unterschiedlichen Präferenzen des Musizierens mit sich brachte. Und sie waren komplett anders sozialisiert in den USA und Kuba. Die spanischen Kolonialherren erlaubten die Musikausübung, die puritanischen Amerikaner jedoch nicht. Boyd hat einen faszinierenden Mix aus persönlichen Erlebnissen mit historischen Fakten verbunden. Hoffentlich wird er diesen Vortrag bald in Deutschland halten. Prädikat wertvoll.

Ein Künstler hatte leider seinen letzten Auftritt. Zwei Tage nach seiner Performance in Knoxville verstarb Singer Songwriter Michael Hurley. Sein finaler Gig ließ dieses plötzliche Ende nicht erwarten.

Zweite Station: Nashville. Hauptstadt der Country-Music. Obwohl ich Johnny Cash und Emmylou Harris schon zu Teenagerzeiten mehrmals live gesehen habe, war es mein erster Besuch in Nashville. Gleich an unserem ersten Abend spielten die „Time Jumpers“.  Zwei Stunden Western Swing gespielt von Weltklassemusikern. Was bei uns alle paar Jahre mal zu sehen ist, gibt es hier jeden Montag im „3rd and Lindsley“.

Der zweite Abend führte uns in die Eastside Bowl. Eine Zeitreise. Ein Bowling-Center im Originalzustand der 60er Jahre. Auf dem Programm der Honky Tonk Tuesday. Um 16.30 Uhr startete die öffentliche Probe der Countryband mit 11 Pedal-Steelgitarristen. Ab 19.00 Uhr wurde getanzt. Der Dienstagabend wurde spät.

Schönster Food-Truck Nashvilles

“Less Honkin – more tonkin”, lautete das Motto des Abends
Die Low Volume Country-Band macht gerade Pause.

Am Mittwoch Besuch im „Skinny Dennis“ ebenfalls in East Nashville. Schummrige Beleuchtung mit Original Camel Leuchtreklame aus den 70er Jahren, sowie rare antike Fotos und Portraits von alten Countryheroen. Die Aura von vielen Jahren Honky Tonk. Doch der erste Eindruck täuschte: die Bar war gerade mal zwei Wochen alt. Da haben Interior-Designer allerbeste Arbeit geleistet.

Downtown Nashville erinnerte mich an Hamburg St. Pauli: viele Touristen feiern Geburtstage, Junggesellenabschiede und was es noch so alles zu feiern gibt. Trashig. Aber wie auch auf St. Pauli findet man noch immer Bars mit tollem Flair. Wir kehrten gern im Robert’s Western World ein. Authentischer old school-Vibe, tolle Bands, ehrliche Drinks. Und für $6.- das „Recession-Special“: das „Fried bologna sandwich, piled high. Served with chips, Moon Pie and an ice cold PBR!“ Best price auf unserer Tour.

Unser Besuch in Nashville wurde jedoch gestört von zwei Tornados, die von Memphis über Nashville bis nach Kanada durchs Land fegten. Um 3.10 Uhr nachts klingelte uns der Handyalarm aus den Betten. Da unsere Freunde Lee & Aninha keinen Keller haben, mussten wir uns in die fensterlose Kleiderkammer zwängen. Im Pyjama, mit Fahrradhelm geschützt und Hund Duke verbrachten wir dort zwei Stunden. Fünf Meteorologen analysierten auf YouTube den Verlauf des Tornados. Von Stadt zu Stadt, Stadtteil zu Stadtteil, Straße zu Straße. Wir blieben verschont, doch 16 Menschen starben bei diesem Tornado.

Tagsüber besuchten wir das Country Hall of Fame Museum. Erster Blickfang: das „Taylor Swift Education Center“ mit Anleitungen zum Songwriting und weiteren Tipps für angehende Popstars.  Ansonsten beherbergt das Museum viele Originalrequisiten von legendären Countrystars: Autos (u.a. von Elvis), Musikinstrumente (u.a. von Chet Atkins), Turnschuhe (Willie Nelson), Nudie-Anzüge (u.a. von den Flying Burrito Brothers), Platinalben und viel Merchandising. Im Anschluss ging es in das RCA-Studio B. Dort sang Elvis Presley seine großen Hits ein.

Unser nächstes Ziel war Memphis, Tennessee. Auf halber Strecke in Hurricane Mills kamen wir bei „Loretta Lynn’s Kitchen“ vorbei. Loretta Lynn war eine bekannte Country-Sängerin, die auch durch ihre Zusammenarbeit mit Jack White 2004 einem Pop-Rockpublikum bekannt wurde. Seit den 70er Jahren betrieb Lynn mit Partnern ihr Restaurant. Eine große Wand mit Fotos erinnert an die prominenten Besucher, die hier vorbeischauten: Johnny Cash, Dolly Parton, Lee Hazlewood, Willie Nelson, George Jones. Neben allerhand Loretta Lynn-Merchandising wurde auch ein Trump-Supporter T-Shirt angeboten: „Christian – White – Straight – Unwoke – Unwaxed – Gun Owner – Meat Eater & Trump Supporter – How else can I piss you off today?“ Und ja, sie unterstützte Trump 2016. 2022 starb sie mit 90 Jahren.

Da waren schon einige Bekannte vor uns da.

Memphis. Ein komplett anderer Vibe als Nashville oder Knoxville. Keine Fußgänger auf den Straßen. Nur ein paar Obdachlosen begegneten wir. Nach unserem ersten 40-minütigen Spaziergang kamen wir zur Einsicht, dass das vielleicht doch keine so gute Idee ist, hier lange Strecken zu Fuß zu gehen.

Unser erster Besuch war im Sun-Studio. Hier machten Elvis Presley, Johnny Cash und viele andere legendäre Musiker ihre ersten Aufnahmen. Eine 45-minütige Tour durch das Studio ließ die Zeit noch mal aufleben. Übrigens kann man das Studio heute noch für Recording-Sessions buchen.

Einen halben Tag Zeit sollte man für „Graceland“ einplanen, dem ehemaligen Anwesen von Elvis Presley. Von gediegen bis funky ist das Wohnhaus eingerichtet. Dinner Raum und Wohnzimmer klassisch, TV-Raum knallig gelb im 70s Style, lauschig der Jungleroom. Im Garten kommt man u.a. am Squash-Center vorbei, geht durch den Meditation-Garden, wo Elvis und Familienangehörige beerdigt sind. Zwischendurch ein Haus mit vielen Memorabilia von Elvis. Fotos, Briefe, Kleidung, Erinnerungsstücke aus seiner Zeit als Soldat in Deutschland, Fotos von seinen Pferden, einige seiner Waffen. Zu diesem Zeitpunkt dachten wir bereits: Wow, die $ 84.- Eintritt waren den Besuch wert!  Doch weiter ging es in die riesige Halle „Welcome to Presley Motors“. Im Top Zustand standen dort unzählige Oldtimer, Motorräder und Motorboote. Elvis‘ Fuhrpark. Und damit nicht genug: der nächste große Saal präsentierte die maßgeschneiderte Bühnengarderobe von Elvis. Zig Anzüge im Original ausgestellt in Glaskästen. Zum Ausgang bzw. zum großen Merch-Shop wird man mit Filmen und den unzähligen Gold- und Platinplatten begleitet. „50.000.000 Fans can’t be wrong“ hieß eine Platte von Elvis. 2 sind jetzt noch dazugekommen!

Elvis Wohnzimmer

In einer schummrigen Ecke von Downtown Memphis kehrten wir in den „Central BBQ“ ein. Ein klassisches, authentisches und lässiges Restaurant. Beste Qualität, leckere Saucen in allen Schärfegraden und Beilagen zum fairen Preis.  Das „Delicious Pulled Pork“ muss auch BB King, Al Green, Willie Mitchell, Otis Redding und Johnny Cash hier geschmeckt haben!

Zum Abschluss unseres Memphis Aufenthalts besuchten wir das „National Civil Rights Museum“. Es liegt direkt neben dem „Lorraine Hotel“. Dort wurde Martin Luther King 1968 auf dem Balkon von einem Attentäter erschossen. Das Hotel ist nun Teil des Museums. Die bewegende Ausstellung dokumentiert afroamerikanisches Leben in den USA und die Entwicklung der Bürgerrechtsbewegung. Neben vielen Foto-, Film- und Schriftdokumenten wird dem Besucher exemplarisch vor Augen geführt, wie der Alltag war: im Museum steht eine Kopie des Busses, den die Bürgerrechtlerin Rosa Park 1955 betreten hatte. Sie weigerte sich den Sitzplatz für eine weißen Fahrgast freizugeben. In dem Moment, wo wir nun den Bus betraten, hört man die laute Stimme des Fahrers mit der Aufforderung, dass sie, nun als Puppe nachgestellt, sofort aufstehen muss. Wir erschraken! So war das gerade mal vor 70 Jahren! Rosa Park blieb damals übrigens sitzen und schrieb damit Geschichte. Eigentlich mag ich keine vollen Museen. Doch hier war es ermutigend zu sehen, dass sich viele Schulklassen durch das Museum drängelten.

Der nächste Stop war Tulsa, Oklahoma. Tulsa war dank Leon Russel und JJ Cale in den 70er Jahren eine zentrale Musikmetropole in den USA. Die besten US-Studiomusiker lebten dort und gehörten zum Hauspersonal des „Church“-Studios. Unter anderem nahmen Stevie Wonder, Dr. John, Willie Nelson, Taj Mahal, Eric Clapton und auch mein persönlicher Favorit Georgie Fame dort Platten auf. Ich schickte Georgie ein Foto von uns vor dem Studio und er antwortete prompt: „I have special fond memories of the studio and Tulsa (74?) with Gly Johns. The resulting album was one of my most satisfying projects. It was released untitled with minimum information (politics?). On completion, Carl Radle and Jamie Oldaker left for Miami to join Eric C (Clapton) on 361 Ocean Boulevard. Good history!!“

Blick auf Downtown Tulsa.

Die eigentliche Überraschung in Tulsa war das Bob-Dylan-Center. Die Entscheidung von Dylan, Tulsa als Standort für sein Archiv auszuwählen, kam nach seinem Besuch im Woody-Guthrie-Museum. Er war beeindruckt von der Sorgfalt der Guthrie Ausstellung und bot infolgedessen der dortigen Stiftung sein großes Archiv mit Korrespondenzen, Filmen, unveröffentlichten Aufnahmen, Textheften, Fotos usw an. Insgesamt verfügt das Center über 100.000 Gegenstände. Wir hätten unseren Aufenthalt gut und gerne um ein paar Tage verlängern können, aber wir mussten weiter! Dylan hat die Ausstellung bislang noch nicht besichtigt. Bei seinem letzten Tulsa-Besuch wurde Dylan ausdrücklich eingeladen. Jedoch zog er es vor, zum Basketball-Spiel zu gehen.

Tulsa war dann unser Startpunkt für die Route 66. Unsere Unterkunft, das „Campell-Hotel“, lag direkt an der Straße. Jedes Zimmer war individuell designt. Wir hatten das Western-Zimmer.  Es war eines von vielen charmanten Boutique-Hotels, in denen wir auf der Reise einkehrten.

Von Tulsa ging es für eine Nacht nach Oklahoma City. Wir kamen dort mit einem Ehepaar aus Texas in Gespräch. Amarillo ist unsere nächste Station, sagten wir. Dort sei eines der besten Steakhäuser, so unser Reiseführer. Doch die Texaner wussten es besser: fahrt über Fort Worth, schaut euch dort die Longhorn-Show in Stock Yards an und fahrt dann weiter nach Abilene. Dort kehrt ihr in das Perini-Steakhaus ein. Gesagt – getan.  Zwar waren die Longhörner eher träge, doch Fort Worth Stock Yard ist eine charmante kleine Western-Stadt mit schönen Bars und netten Western-Stores. Und der Stopp in Fort Worth korrespondierte mit meiner Reiselektüre, der Sly Stone Autobiografie „Thank You (Falettinme Be Mice Elf Agin)“. Sly (R.I.P.) kam hier zur Welt.

Und natürlich aßen wir im Perina das Steak unseres Lebens!

Dank des Umwegs bekamen wir einen Eindruck vom ländlichen Texas. Wir fuhren die N70 entlang. Alle paar Meilen stößt man auf eine kleine Siedlung oder Gemeinde. Erster Blickpunk in jeder Siedlung eine Baptist-Church. Dann einige verwahrloste Häuser, ein paar Autowracks, Trailer und viele US-amerikanische Flaggen. Filmkulisse live.

Von Texas ging es weiter nach New Mexico. Genauer Santa Fe. Eine gediegene Stadt in 2200 Meter Höhe. Graham Nash spielte im The Lensic-Theater und wir bekamen die beiden letzten Tickets. „Wir halten die nächsten 3 ½ Jahre durch“ war das Motto des Abends. Man war sich einig und sang ein paar alte Crosby, Stills & Nash-Hits. A touch of Woodstock.

Den 66. Geburtstag feierten wir dann auf der Route 66. Auf dem Weg von Santa Fe nach Williams, dem Tor zum Grand Canyon. Unsere längste Tagesstrecke. Wir fuhren an vielen Oldtimern, alten und verlassenen Hotels und Tankstellen vorbei. Postkartenmotive. Das gute alte Amerika. Zwischenstopp in Winslow: „Well, I’m standing on a corner in Winslow, Arizona“ lautet die erste Zeile in dem Eagles-Klassiker „Take It Easy“. Foto mit der Glenn Frey-Statue und ein „Take It Easy“-T-Shirt als Geburtstagsgeschenk.

Der Grand Canyon ist überwältigend! Und Williams, Arizona, ist ein spezieller Auftakt.  Unser Hotel „Red Garter“ war vor Jahrzehnten ein Puff. Im benachbarten Brauhaus kam ich mit einer jungen Texanerin ins Gespräch. Sie arbeitete eine Zeitlang für die Nasa. Dort erledigte sie internationale Kurierdienste. Aber es war nur ein Zeitvertrag, weshalb sie nun nach einem neuen Job in Williams sucht. Nach einigen Bierchen zahlte sie meine Zeche. Wann habe ich das zuletzt erlebt?

Am nächsten Tag mussten wir früh aufbrechen, da wir Tickets für „Dead & Company“ in Las Vegas hatten. Die Abfahrt verzögerte sich, da in Williams einige Zentimeter Neuschnee lagen. Aber einige Kilometer weiter, zog langsam die Sonne wieder auf.

Die Konzerte von „Dead & Company“ fanden im „Sphere“ statt. Kurze Zusammenfassung aus Wikipedia: „Die Sphere in Las Vegas ist mit 112 Metern Höhe und 157 Metern Breite das größte kugelförmige Gebäude der Welt und bietet Platz für bis zu 20.000 Besucher.  Sie verfügt über eine 16K-Innen-LED-Leinwand von 15.000 m² sowie eine 54.000 m² große Außenfläche mit 1,2 Millionen LED-„Pucks“, die beeindruckende visuelle Effekte ermöglichen.  Das 2,3 Milliarden US-Dollar teure Bauwerk wurde im September 2023 eröffnet und bietet mit 164.000 einzeln ansteuerbaren Lautsprechern sowie 4D-Effekten ein immersives Unterhaltungserlebnis.“  Gigantisch!

„Dead & Company“ ist eine Nachfolgeband von Grateful Dead, die in den 80er- und 90er-Jahren die erfolgreichste Live-Band in den USA waren. Seit dem Tod des Sängers, Gitarristen und Komponisten Jerry Garcia im Jahr 1996, treten die überlebenden Mitglieder in unterschiedlichen Formationen auf und performen das Repertoire der Band. Wie gehabt, wechselt das Programm an jedem Abend. „Dead & Company“ besteht u.a. aus den Original Mitgliedern Bob Weir und Mickey Hart, sowie Sänger und Gitarrist John Major. Wir waren an zwei Abenden vor Ort. Ein 3-stündiges psychedelisches audio-visuelles Feuerwerk. Die Bilder greifen immer wieder die amerikanischen Farben blau, rot und weiß auf. Faszinierend wie das US-Bild in einen ganz anderen Kontext gesetzt wird. Pop, Psychedelisch, verspielt, leicht und lässig. Da ist es wieder: das gute Amerika! Am ersten Abend trat überraschend die Sopranistin Renee Fleming als Gastsängerin auf. Ich sah sie zuletzt im Verdi Requiem.  Hier ein kurzer Eindruck vom ersten Abend: 

Mehr Clips auf YouTube. „Dead & Company“ spielten in den letzten Wochen insgesamt 17 ausverkaufte Shows. An jeder Ecke gab es vor und im Sphere gut frequentierte Merch-Stände. Für $21.- trank ich mein teuerstes Bier. Immerhin konnte ich dafür den Plastikbecher mitnehmen. Ein Merch-Item für die nächste Grillparty.

Vorletzte Station war Palm Springs, wo wir unseren alten Hamburger Freund Sven Kirsten besuchten. Sven lebt seit den frühen 80er in Kalifornien. Mittlerweile ist er die zentrale Instanz, wenn es um die Tiki-Kultur geht. Seine drei Tiki-Bücher, die im Taschen Verlag erschienen sind, sind Standardwerke. Und gerade rechtzeitig zu unserem Besuch erschien sein neues Buch „Palm Springs Tiki“. 

Sven nahm uns mit zu seinem Freund Doug Thornburg, der in der benachbarten Royal Palms Mobile Home Community wohnt. Grundvoraussetzung, um in das Kondominium aufgenommen zu werden, ist das Mindestalter von 55 Jahren. Die drei Tikis, die dezent vor dem Haus stehen, lassen nur erahnen, wie es im Haus aussieht: ein perfekt eingerichtetes Tikizimmer mit einer Vielzahl von außergewöhnlichen Lampen….

Outside: Das Haus von Doug Thornburg
Inside mit Doug.

Zurück bei Sven nahmen wir Platz an seiner Cocktailbar „Sunken Island“. Die Bar liegt zwei Stufen tiefer als die Wohnzimmerebene. Sven mixte ein paar Rum-Cocktails. Danke noch mal, Sven und Naomi, für die Gastfreundschaft!

Zum Abschluss unseres Road-Trips ging es nach Los Angeles. Nur drei Monate sind seit den letzten großen Bränden vergangen. Eine Bekannte von uns arbeitet in Pacific Palisades, dort wo knapp 7.000 Häuser zerstört wurden. Sie nahm uns in ihrem Wagen mit. Eine Landschaft mit niedergebrannten Häusern und zerstörten Autos, soweit das Auge reicht. Zwischendurch immer mal wieder ein einzelnes Haus, was wie durch ein Wunder unversehrt geblieben ist. Es wird dauern, bis Pacific Palisades wieder bewohnbar sein wird.

Auf der anderen Seite von Pacific Palisades in Eagle Rock hat Mario Caldato sein Studio. Ich habe ihn durch meine Zusammenarbeit mit der brasilianischen Sängerin Adriana Calcanhotto kennengelernt. Caldato wurde bekannt durch seine Produzentenarbeit mit den Beastie Boys. Bei meinem letzten Besuch 2023 spielte er mir ein unveröffentlichtes Album des brasilianischen Sängers und Schauspielers Seu Jorge vor. Über 10 Jahre haben beide an der Platte gearbeitet, die für Seu Jorge-Kenner einige Überraschungen bereithält. Unter anderem Titel, die Milton Nascimento und Elis Regina sangen. Und eine herzzerreissende Version von Nick Drake’s „River Man“. Ich hätte es sehr gerne bei meinem damaligen Label Modern Recordings veröffentlicht. Nun soll es Ende des Jahres auf dem Label von Marisa Monte erscheinen.

Der Partner von Mario hatte vor einigen Jahren Kisten mit Ton- und Mehrspurbändern in einem Thrift-Shop gefunden und gekauft. Es waren Bänder aus dem Sea-Saint-Studio in New Orleans. Dort produzierte Allen Toussaint, einer meiner Helden, und nahm Platten mit The Meters, Dr. John, Irma Thomas oder Lee Dorsey auf. Nun sichten Mario und sein Partner die Bänder und entdecken dabei viel unveröffentlichtes Material aus den 70er und 80er Jahren. Nach und nach werden die Highlights nun erstmalig veröffentlicht.  Augen auf im Thrift-Shop!

Konzerte von Phish in der Hollywood Bowl und Arto Lindsay mit Zsela, ein Besuch im Grammy-Museum, sowie der Paul McCartney-Fotoausstellung und der ersten Fahrt in einem fahrerlosen Taxi (Jaguar) rundeten unseren Road-Trip ab.

„Schön, dass ihr hier seid!“, hörten wir mehr als einmal. Immer wieder bedankten sich überraschte US-Amerikaner bei uns, als sie hörten, dass wir jetzt aus Deutschland angereist waren. Die Stimmung tendiert zwischen: wir werden die nächsten 3 ½ Jahre durchhalten, wir überlegen, aus den USA wegzuziehen und glatter Verzweiflung, die wir in einigen Einzelgesprächen wahrgenommen haben. Unser persönlicher Eindruck war jedoch, noch einmal einen Blick des guten Amerikas gesehen zu haben. Drücken wir die Daumen, dass wir es noch oft erleben dürfen! Der nächste Geburtstag wird dann jedoch eher auf der B67 gefeiert werden. Sie geht von Goch über Bocholt und Borken bis nach Reken. Vielleicht ja im fahrerlosen Jaguar? Klingt ziemlich exotisch.

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Kleine Zugabe von ein paar weiteren Fotos:

Live Nation Building in Nashville

All photos by Christian Kellersmann (except noted)

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