DER FRACK IST BITTE AN DER GARDEROBE ABZUGEBEN

Am 20.8. findet die nächste Yellow Lounge statt. Es ist eine Abschieds-Yellow Lounge: David Canisius steht zum letzten Mal als Resident-DJ an den Turntables.   Mit ihm verliert die Yellow Lounge ihren Soul-Brother No.1. Abend für Abend führte uns Canisius mit Leichtigkeit, Spaß und dennoch dem nötigen Respekt vor Künstlern und Musik durch die Welt der klassischen Musik. Sein Name ist eng verknüpft mit dem Erfolg der Yellow Lounge in Berlin. Zeit für einen kleinen Rückblick auf Entstehung und Geschichte der Yellow Lounge:

DER BEGINN IN HAMBURG

Zu Beginn meiner Tätigkeit als General Manager für die Klassik bei Universal Music war eine zentrale Frage: wie erreichen wir ein neues, junges Publikum? Keiner meiner Freunde oder Popkollegen hörte klassische Musik. Das lag weniger an der Musik als vielmehr am Image der klassischen Musik: es war verstaubt, konservativ, verstockt. Es fehlten neue Zugänge, Türen mussten geöffnet werden. Im Konzertsaal fühlte man sich nicht wohl: einmal falsch geklatscht und man war der Buhmann des Abends. Und sein Bier musste man auch noch an der Eingangstür stehen lassen…

Wir gründeten bei Universal eine kleine Arbeitsgruppe. Dabei waren: mein Chef Tim Renner, der Geschäftsführer von Universal Special Marketing Joachim „Kirsche“ Kirschstein, mein langjähriger Consultant Christoph Becker, der Klassik-Produktmanager Martin Hossbach und der General Manager der Deutschen Grammophon Ruud de Sera. Alle waren mit Pop groß geworden und wollten jetzt mehr über die Klassik wissen. Uns fehlte die Frische, die Sexyness, die Spontaneität, die moderne Inszenierung in der klassischen Welt. Wir wollten die Musik mit unseren Freunden hören. Der Weg in den Konzertsaal kam für sie aber (noch) nicht in Frage. Deshalb drehten wir den Spieß um: wir warten nicht bis die Leute in die Oper gehen, sondern wir gehen zu ihnen!

Ruud hatte bereits Vorarbeit geleistet und den Namen „Yellow Lounge“ ausgedacht.  Dirk Rudolph bekam den Auftrag, ein Logo zu entwerfen.  Er zauberte  ein kleines Meisterwerk: aus dem traditionellen „Deutsche Grammophon“-Logo (intern: „gelbe Kartusche“), entstand das Yellow Lounge-Logo. Bevor entschieden war, was und wie die Yellow Lounge sein sollte, hatte Ruud bereits eine Palette mit Merchandising-Artikeln produziert: Schlüsselanhänger, Bierdeckel, Streichholzschachteln und Dinge, von denen nur Ruud wusste, wofür sie gut waren.

Unser Ziel war es nun, einen Abend mit klassischer Musik in einem Club oder in einer Bar zu veranstalten. Nur welcher Club stellt seine Räume für eine Klassikveranstaltung zur Verfügung?  Welches Soundsystem ist auf klassische Musik eingestellt? Welche klassische Musik eignet sich überhaupt für Clubs? Finden wir einen kompetenten DJ? Techno-, House- oder Jazz-DJs gab es wie Sand am Meer. Aber Klassik? Fehlanzeige. Wir diskutierten nonstop. Bis Kirschstein Fakten schaffte: er hatte die Bar Die Welt ist schön am Hamburger Pferdemarkt gebucht. Für den 1. Februar 2001.

Es war voll:  Freunde, Kollegen, Musiker und erstaunlich viele hübsche Hamburgerinnen kamen zur Premiere. Die DJs waren Martin Hossbach, Matthias Rewig und Oliver Schwenzer. Ein guter Start.

Eine Woche später veranstaltete Ruud de Sera im Rahmen einer Deutsche Grammophon-Konferenz in Wien eine sehr aufwendige Spezial Yellow Lounge. Diese Veranstaltung hatte mehr den Charakter eines Cirque de Soleil Events: Klassikstars wie Magdalena Kožená sangen Broadway-Melodien, eine Trapez-Künstlerin wirbelte durch die Luft, man saß auf Designer-Möbeln, die extra aus München eingeflogen wurden und an der nächsten Ecke standen Reinhard Goebel und sein Ensemble Musica Antiqua Köln.

Wir setzten die Yellow Lounge-Abende fort, bespielten Galerien, Cafés und Bars in Hamburg, Berlin und Leipzig. Wir luden erste musikalische Live-Acts ein: David Garrett, der sich damals nach einigen Jahren Pause musikalisch neu zu definieren versuchte und das  Emerson String Quartet. Zur Popkomm in Köln veranstalteten wir Abende mit Matthew Herbert als DJ, Yundi Li und Siren Suite als Live-Gäste.

Es ging voran. Doch der große Durchbruch liess auf sich warten. Wir waren zu vorsichtig: die Musik war nie richtig laut, noch richtig leise, die Locations waren gut aber nicht genial. Wir agierten nicht konsequent. Unser erster Resident-DJ Martin Hossbach warf das Handtuch. Er glaubte, daß es Universal Music als Konzern nicht gelingen würde, in der Szene Akzeptanz zu finden. Er zog sich aus dem Projekt heraus und fast wäre dies das Ende gewesen. Doch mit dem Umzug des ganzen Hauses Universal Music nach Berlin änderten wir auch unsere Marschroute für die Yellow Lounge.

DIE YELLOW LOUNGE IN BERLIN

2002 zog Universal Music von Hamburg nach Berlin. Der perfekte Zeitpunkt für den Umzug. Hamburg lahmte seit Mitte der 90er Jahre. Berlin war im Aufbruch. Wir fanden für die Yellow Lounge den perfekten Resonanzboden vor – in keiner anderen deutschen Stadt hätten wir die Idee so umsetzen können.

Wir bildeten ein neues Team. Per Hauber, Produkt Manager, jung, hart im Nehmen und ausgebildeter klassischer Saxophonist. Die Universal-Event-Managerin Nilgün Oez, tief verwurzelt im Berliner Nachtleben.  David Canisius, klassisch ausgebildeter Violinist, Mitglied im Deutschen Kammerorchester, Barkeeper im Greenwich, Party-Animal.

Das Konzept wurde auf den Kopf gestellt. Wir suchten einen festen Club und fanden das „Cookies“, Berlins beste Clubadresse. Cookie – der Chef des Hauses – war bereit, sich auf das Wagnis Klassik einzulassen. Er riskierte seinen guten Ruf, denn Klassik war (noch) uncool. Im Cookies waren ideale Voraussetzungen geboten: ein perfektes Soundsystem und sehr gute Akustik für die Live-Sets. Smiley, der netteste Türsteher Berlins, empfing die Gäste. Hinter dem Tresenpersonal prangte ein riesiges Plakat mit dem Wort: FICKEN.

Ab sofort gab es an jedem Abend zwei kurze Live-Sets. Akustisch. Eingebettet von DJ-Sets. Visuell wurde die Musik von Videoprojektionen begleitet. Dafür gewannen wir unter anderem die VJs Pfadfinderei, Safy Sniper und Philip Geist.

Der erste Montag im Monat wurde  der Yellow Lounge-Abend. Die Ankündigungen gingen kurzfristig an den Cookies-E-Mail-Verteiler. Auf weitere PR-Maßnahmen verzichteten wir.

Am 7.5.2003 war die Premiere. Live-Gast war Yundi Li , der aktuelle Klassik-Superstar aus China. 2001 spielte er bereits bei der Popkomm-Yellow Lounge in Köln. Vor geladenem Publikum. Jetzt gab er sein Debüt auf der Tanzfläche im Cookies. Umringt von über 400  Leuten. Alle jung, neugierig, lässig. Die Mädchen im kleinen Schwarzen – Gesundheitsschuhe und Bluse blieben im Schrank. Yundi Li spielte für Gleichaltrige.  Das Wunschpublikum eines jeden Konzerthausintendanten.Er eroberte das Publikum im Sturm.

Der Auftakt war gelungen – die Basis für die Zukunft gelegt. Innerhalb von kurzer Zeit etablierten wir die Yellow Lounge und machten sie zu einem Hotspot in der Clublandschaft. Lange Zeit blieben wir im Cookies. Später zogen wir ins WMF, Berghain, Gretchen, Weekend, Maria; waren in der Neuen Nationalgalerie, im Felix und auf dem Badeschiff. Es hatte sich was getan: plötzlich waren wir mit klassischer Musik überall willkommen!

Der Szene-Erfolg der Yellow Lounge strahlte auch in das Haus Universal Music: das Klassik-Image war anfangs „inhouse“  noch sehr betulich. Kein Wunder, denn seit den 70er Jahren werden die Tonträgerfirmen von Rock- und Pophaudegen geleitet. Da geht’s vordergründig um Hits, Glam, Pop, Trends, Sex und Lautstärke. Klassik hat zwar auch Hits, Glam, Sex und Lautstärke – aber erst auf dem zweiten Blick. Kaum ein Top-Executive hört Klassik. Solange der Umsatz stimmt, lässt man es gerne laufen. Ab und zu zeigt man sich gerne mit den Ikonen der Klassik. Das macht sich gut gegenüber der Politik und bei Vati und Mutti (das durfte ich auch erleben). Der Erfolg der Yellow Lounge führte in unserem Hause dazu, dass vermehrt die  Popkollegen nach Yellow Lounge-Tickets, Klassik-CDs oder Konzertkarten fragten. Man nahm uns plötzlich ernst. Wir waren Thema.

Seit über 10 Jahren funktioniert dieses Experiment. Inzwischen haben sich auch viele Klassikkenner in den Mail-Verteiler eingeschmuggelt. Das Erlebnis ist außergewöhnlich: selten ist das Publikum so nah dran am Künstler, selten wird dem Künstler aus nächster Nähe so intensiv auf die Finger oder in die Augen geschaut. Die Atmosphäre ist locker und entspannt. Während des Live-Sets knistert es vor Spannung, das Publikum ist elektrisiert.

Mittlerweile findet die Yellow Lounge auch außerhalb Berlins statt. Erst in Frankfurt im Cocoon-Club. Und jetzt in Seoul, London, New York, Stockholm, Salzburg oder Kopenhagen. Es hat eine Weile gedauert, bis die Universal-Kollegen in anderen Ländern die Idee aufgegriffen haben. Das Top-Management in London nöhlte damals, dass  wir  nicht ständig über den „Yellow Room“ reden sollten. Doch mittlerweile ist die Yellow Lounge oberste Priorität der Abteilung  „Business Development“. Mit  „Bang & Olufson“ konnte ein internationaler Sponsor gewonnen werden. Damit gibt es endlich die Möglichkeit, die Musiker für ihre Performance zu entlohnen. Denn bislang verdiente niemand an der Yellow Lounge. Die Musiker spielten kostenlos, die DJs und VJs bekamen eine überschaubare Gage, die Clubs holten gerade ihre Unkosten rein (getanzt wird nicht, da hält sich der Durst in Grenzen). Teuer sind die Mieten für den Steinway-Flügel und die Beamer. Bei einem Eintritt von € 6.- blíeben dann ein paar Rechnungen für Universal offen.

Wie geht es weiter? Es gibt erste Veranstaltungen, bei denen Jazz- und Popkünstler auftreten. Das war lange ein Tabu. Und während zu Beginn der Yellow Lounge die inhaltliche Ausrichtung des Abends entscheidend war, wird das Format jetzt dafür genutzt, neue Alben der Universal-Künstler zu promoten. Das ist nachvollziehbar, denn Universal zahlt die Zeche. Vielleicht wird die Yellow Lounge bald als Paket für Firmenfeste, Hochzeiten und sonstige Events über Franchise-Unternehmer buchbar sein?

Ab jetzt geht es erst mal ohne David Canisius weiter. Er verlässt das Pult. 10 Jahre führte er mit Eleganz, Humor und Lässigkeit durch die Abende. Hörerwünsche nahm er mit Freude entgegen. Es war ihm immer ein persönliches Anliegen, die Musik, die in seinem Herzen erklingt, einem neuen Publikum nahe zu bringen. We will miss you, Canisius!

EIN PAAR HIGHLIGHTS DER LETZTEN JAHRE:

Häufiger zu Gast waren  Hélène Grimaud, Daniel Hope, Albrecht Mayer, das Emerson String Quartet, Hilary Hahn, Yundi Li, das Fauré Quartett, Andreas Scholl, Alice Sara Ott, Anna Gourari und Francesco Tristano. Außerdem empfingen wir: Jimi Tenor mit dem Orchester der Deutschen Oper, Sting mit Edin Karamazow im Maria, Carolin Widmann, Hilary Hahn und Hauschka, Matthew Herbert mit dem Konzerthaus Orchester Berlin, Max Richter mit Daniel Hope und dem Konzerthaus Orchester Berlin, das Mahler Chamber Orchester, die Junge Deutsche Philharmonie unter der Leitung von Andrej Borekew, Carl Craig und Moritz von Oswald, Martin Grubinger mit seinem Ensemble, Spark, Vadim Repin, Jean-Yves Thibaudet, David Garrett, Rolf Lislevand, Janine Jansen, Ludovico Einaudi, Alina Gabriel und Andreas Kern, Measha Brueggergosman, der Berliner Rundfunkchor unter der Leitung von Simon Halsey (in der Nacht zuvor wurden sie mit einem Grammy ausgezeichnet), Yuja Wang, Mojca Erdmann, Milos, Benyamin Nuss, Jan Lisiecki, Giovanna Pessi und Susanna Wallumrod, Ingolf Wunder, Simone Kermes, Alban Gerhard, Pierre-Laurant Airmard, Misha Maisky, Anoushka Shankar, das Deutsche Kammerorchester, Maxim Shagaev, das MDR Sinfonieorchester & Fauré Quartett unter der Leitung von Krystian Järvi mit Sven Helbigs „Pocket Symphonies“ und viele anderen.

Die meistgebuchten VJs waren: Pfadfinderei, Safy Sniper und Philipp Geist.

Die DJs der Nacht waren: Neil Tennant, Martin Hossbach, Clé, Harald Reiter, Terrible, Phonique, Rufus Wainwright, Lawrence, Moritz von Oswald, Efdemin, Eva Be, Matthew Herbert, FM, Klaus Jankuhn, Jueri Gagarino, das Mondän-DJ-Team.

Und natürlich Canisius.

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