Kippenberger auf Ex

Kürzlich war ich in der Kippenberger-Ausstellung im Hamburger Bahnhof. Ein Pflichttermin. Immerhin habe ich ein Werk von ihm auf dem Gewissen.

Doch fangen wir von vorne an. In den frühen 80er Jahren mischte sich in Hamburg, Düsseldorf, Köln und Berlin die Musik- und Kunstszene. Man traf sich in den selben Bars, Clubs, Cafés, Restaurants und Galerien. Einige Maler machten auch Musik. Mal besser wie Moritz Reichelt, mal schlechter wie Markus Oehlen (er war natürlich auch deshalb schlechter, weil er eine kurze Affäre mit meiner damaligen Freundin hatte).

Dazwischen tummelten sich noch Galeristen, Journalisten (meistens vom Sounds, Tempo, Wiener und den diversen Stadtmagazinen), Werber (meistens von GGK oder Springer & Jacoby), Fotografen und Mitarbeiter von Schallplattenfirmen. Letztere kamen bis auf eine Ausnahme von Independent-Labels. Der Major-Exot war Peter Cadera. Genannt: der „Joldhamster“. Kid P. schrieb über ihn in seiner lesenswerten Hamburg-Studie „Die Wahrheit über Hamburg“ aus dem Sounds 5/82: “Als Kölner aus Passion liebt er die blumige Ausdrucksweise und kennt für den Zustand der Volltrunkenheit 50 verschiedene Redewendungen (z.B. ‘Tiertisch abgeschmiert’).“ http://www.highdive.de/over/sounds17.htm . Ihm verdanke ich meinen ersten Job bei einer Schallplattenfirma.

Peter Cadera arbeitete zunächst bei der EMI im Außenbüro Hamburg. Er war liiert mit der Fotografin Ilse Ruppert, die unter anderem das legendäre Bikini-Foto von Andreas Dorau und den Marinas schoss. In ihrer gemeinsamen Wohnung am Pilatuspool gab es häufiger ausschweifende Parties – ich erinnere mich noch vage an eine After-Show-Party mit den Buzzcocks. Nachdem Cadera seinen Job bei der EMI geschmissen hatte, gründete er ein eigenes Label mit dem Namen „Unser Angebot“. Ich glaube, er veröffentlichte gerade mal zwei erfolglose Singles innerhalb eines Jahres. U.a. die mittlerweile sehr gesuchte Rex Dildo-Single  “Du bist so nett zu mir“. Hinter Rex Dildo steckt Jens Kraft.

Nachdem Ilse und Cadera  sich getrennt hatten, ging er wieder zurück in seine Heimat Köln, wo er als A&R (Artist & Repertoire) Manager bei der EMI weitermachte. Er widmete sich dort langweiligem Mainstream-Pop. Eigentlich war er mehr daran interessiert, was in Hamburgs Nachtleben so passierte. Wir telefonierten regelmäßig und ich gab ein update über das Geschehen in Hamburg. Irgendwann bot er mir einen DM 390.- – Job als Talentsucher an. Ein perfekter Job für einen Studenten. Geldbekommen fürs Ausgehen. Neben dem neuesten Klatsch, hielt ich ihn über die aktuellen Entwicklungen aus dem lokalen und nationalen Musikleben auf dem laufenden. Ich spielte ihm die ersten Aufnahmen von den „Real McCoys“ zu. Sie sollten sich bald umbenennen in „Jeremy Days“, wurden von Tim Renner zur Polydor gesignt und erzielten mit ihrem ersten Album einen großen Erfolg. Außerdem legte ich ihm Philip Boa ans Herz. Boa machte langweilige Musik, aber er hatte Charisma. Renner nahm ihn unter Vertrag und feierte ebenfalls viele Erfolge mit Boa. Die dritte Band, die ich nach Köln empfahl, war „Die Antwort“ mit Bernd Begemann, Tex Strzoda und Thomas Kozena. Cadera lud die Band nach Köln in die EMI-eigenen Studios ein. Innerhalb von fünf Tagen nahm „Die Antwort“ eine Reihe großartiger Songs auf. Es waren die besten, frischesten Recordings, die „Die Antwort“ je gemacht haben. Alle waren begeistert: die Band, der Produzent, Cadera und ich – der Deal schien fast eingetütet. Nur seine, meine EMI-Kollegen glaubten nicht an den Erfolg von „Die Antwort“ und liessen die Band wieder ziehen. Sie gingen daraufhin zur RCA, nahm alle Songs nochmal auf – nur leider halb so saftig wie auf den Kölner Recordings.

Köln wurde derweil die zentrale Kunststadt in Deutschland. Cadera freundete sich mit Albert Oehlen und mit Martin Kippenberger an.

Nach einigen Jahren verliess Cadera die EMI und ging als A&R-Chef nach Stuttgart zur Intercord. Es muss viel Geld im Spiel gewesen sein, um von Hamburg über Köln ins provinzielle Stuttgart zu ziehen. Intercord hatte neben einer Reihe von lokalen Künstlern wie Roger Whitacker und Reinhard Mey immerhin die Auswertungsrechte in Deutschland für das Mute-Label, deren erfolgreichster Act Depeche Mode war.

Depeche Mode stellte 1989 einen Konzertfilm fertig. Dieser Film sollte bei vier Presseterminen in Deutschland gezeigt werden. Cadera fragte mich, ob ich den Kurierdienst übernehmen könnte. Mein Studium war beendet, ich war blank – also sagte ich zu.

Die Filmrollen musste ich in Stuttgart abholen. Cadera freute sich über meinen Besuch. Wir trafen uns mit einer alten Bekannten, die lange in Hamburg wohnte, sich dann von ihrem Freund getrennt hatte und wieder nach Stuttgart zog. Ich hatte ein Auge auf sie geworfen und dachte, da könnte was gehen. Der Abend wurde lang und länger, alle Kneipen in Stuttgart hatten bereits geschlossen, wir feierten weiter in Caderas Wohnung. Irgendwann knickte Cadera ein, er musste am Morgen wieder ins Büro. Ich baggerte weiter an der Lady, doch irgendwann wollte meine Auserwählte nach Hause fahren. Es war früh morgens – ich brachte sie zur Straßenbahn. Ein Küßchen und tschüß. Ich ging zurück in Caderas Wohnung, hatte noch Durst und sah eine Dose Schlösser Alt auf seinem Bücherbord. Ich zupfte die Gummihalterung ab, warf sie durch die Wohnung, öffnete die Dose, trank genüsslich einen Schluck und legte mich dann im Wohnzimmer schlafen.

Kurz danach weckte mich Cadera völlig aufgelöst: „Hey Pork“ ,so nannte man mich damals, weil ich als Teenager ziemlich dick war, „hast Du die Dose Bier aufgemacht?“ „Ja, schmeckte gut“, sagte ich verschlafen, „wieso“? „Das ist ein Kippenberger!“ rief Cadera.

Er hatte die Dose von Kippenberger geschenkt bekommen. Das Werk hieß „Die Alkoholfolter“. Es erschien 1989 in einer Edition von insgesamt 79 Schlösser-Alt-Dosen. Somit war das Bier glücklicherweise nicht abgestanden, sondern noch schön frisch.

Nachdem Cadera sich wieder einigermaßen gefangen hatte, fragte er mich, ob ich eine Haftpflichtversicherung hätte. Ich nicht, aber vielleicht meine Eltern?

Glücklicherweise war ich als Student noch über meine Eltern versichert. Jetzt musste ich zunächst meinem Vater den Vorgang verklickern. Das war nicht so leicht. ihm zu erklären, daß wir für eine Dose Schlösser Alt DM 1.000.- (der Materialwert bei Aldi: 50.-Pfennig) von der Versicherung einfordern wollten.

Wir reichten den Fall ein. Die Versicherung bat daraufhin um einen Termin bei Cadera. Mit zwei Personen rückten sie bei ihm an, fragten ihn aus und machten haufenweise Fotos. Wenige Tage später meldeten sie sich erneut, da der Film nicht richtig eingelegt war und sie nochmal Fotos machen wollten. Also suchten sie Cadera erneut auf und wiederholten die ganze Arie. Einige Wochen später klingelte die Zentrale der Versicherung bei Cadera durch und bat darum, daß er ihnen die Dose per Post zuschicken solle.  Seine Antwort: „Nur per Kunsttransport.“ Das hätte wiederum erneut eine vierstellige Summe gekostet. Er einigte sich letztlich mit der Versicherung auf die Summe von DM 850.-. Kippenberger fand die Geschichte natürlich großartig. Und eigentlich wollte Cadera eine große Party mit dem Geld von der Versicherung machen. Die Party steht noch aus!

Eine Dose kann man jetzt in der Kippenberger-Ausstellung in Berlin (bis 18.8.) sehen. Trinken würde ich weniger empfehlen. Das Haltbarkeitsdatum dürfte überschritten sein….

7 Kommentare

  1. Albert Wagner am

    Kelly eine wunderschöne Geschichte. Hätte mir auch passieren können. Bis bald mal auf ein Alt Bier
    Albert

  2. Matthias Pfeffer am

    Endlich ist diese legendäre Geschichte mal verewigt, hat Spaß gemacht zu lesen, obwohl ich sie schon etliche Male in den dem Tatabend ähnlichen Situationen anhören durfte. Eigentlich hätte die Versicherung Regress bei der Lady nehmen sollen, aber so war das damals leider häufig, genau wie in dem Tom Waits Song: warm beer, cold woman……

  3. Herbert Kollisch am

    Ich habe über 10 Jahre mit Peter Cadera zusammen gearbeitet und wir hatten bei der Intercord wirklich viel Erfolg. Als Kölner mit Hamburger Hintergrund war er der bunte Farbtupfer in dem schwäbischen Einerlei! Die Künstler mochten ihn auch – nur mit Hartmut Engler hatte er etwas Schwierigkeiten (wenn ich mich recht erinnere ging es um den Text zu dem Song “Nutzlos”). Was ich immer an Peter geschätzt habe war, dass er immer “straight forward” war und offen seine Meinung sagte und sehr unkonventionell war er auch. Das mochten einige im Schwäbischen nicht so besonders – aber sie mussten halt damit leben. Leider hat Peter uns verlassen, als die EMI die Intercord gekauft hat im Jahre 1994. Das war eigentlich nicht so klug – andernfalls hätte ich bestimmt noch einen Pensionsvertrag für ihn aushandeln können!

  4. Heinz-Georg Drensler am

    Eine herrliche Geschichte! Übrigens treffe ich Cadera regelmässig einmal im Jahr beim Bellheim Cup, dem legendären zweitägigen Golfturnier, das Wolf Gramatke (mit einigen Bellheimern wie Götz Kiso, Harold Faltermeyer, etc) organisiert. Das sind sie dann alle wieder zusammen, die man noch so aus den alten Zeiten kennt.

  5. Frank Jastfelder am

    Großartige Geschichte lieber Kelly. Hätte ich die schon gekannt als ich vor der Vitrine im Hamburger Bahnhof stand, wäre mir sicher ein kleines Schmunzeln entwischt.

    Freue mich schon auf die nächsten Kapitel.

  6. Kai am

    Wunderbare Anekdoten … und ich hatte DIE ANTWORT dann kurz nach Job-Anfang bei der RCA als PM auf dem Tisch. Wie so oft: Herr Begemann und Kumpane waren ihrer Zeit einfach weiter voraus, als das Medien-Deutschland damlas war …sehr schade. Ich halte immer noch die “Advance-Promo-CD” (eine CD für einen Newcomer als Promo-Tool war damals etwas sensationelles …;-) ..) sowie alle Vinyls … besonders die “Rose” als 12″ Vinyl in Ehren …

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