Der Schattenmann

Ohne Christoph Bunke, genannt „Bunke“, gäbe es die Ernest Ranglin-CD „Now is the Time“ nicht. Bunke war einer der freien Mitarbeiter bei Universal Music Classics & Jazz: sie packten, sortierten, klebten, hielten den Kontakt zur Poststelle, kommentierten schnippisch unsere Arbeit – sie waren die guten Seelen in unserem Büro. Ab und zu kopierten sie auch CDs, wie unser freier Hamburger Mitarbeiter Pete „Lawrence“ Kersten im DeBug 2007 zu berichten wusste: „Ich hatte früher in der Major-Industrie einen Studentenjob. Ich glaube, ich habe noch nie so viele CDs illegal kopiert wie damals für meine Chefs. Und jetzt werden irgendwelche Rentner zu Arbeitsstunden verdonnert, weil sie sich genauso verhalten …“ Hhmm, war das so?

Alle unsere Freelancer waren Musiker und/oder Musikaficionados. Mit etwas Geld aus dem Aushilfejob kamen sie über die Runden. Nine to five kam für sie nicht in die Tüte. Aber ein paar lässige Stunden, frei eingeteilt, mit Klönen, Keksen und Kaffee satt, waren immer willkommen. Bunke hatte viel erlebt. Er zog 1963 aus einem verschlafenen Ostseenest ins kochende Hamburg. Dort wurde er sofort regelmäßiger Star-Club-Besucher, sah die Beatles 1965 auf der Bravo-Blitz-Tournee in der Ernst-Merck-Halle und startete eine kleine Folk- und Beatkarriere als Gitarrist und später Bassist. Zu Beginn der 70er Jahre gründete er die Band „Bad News Reunion“, die ich einige Male im Logo sah. Der spätere European-Song-Contest-Moderator Peter Urban saß an der Hammond B-3.

Mitte der 70er machte Bunke seinen Vinyl-Mailorder-Versand „Sundown-Records“ auf. Das Büro und Lager hatte er in den Räumen des Musikmagazins „Sounds“ im Winterhuder Weg in Hamburg. „Sounds“ war damals das coolste Musikblatt. Haltung gepaart mit Respektlosigkeit und natürlich fundiertem Popwissen. „Sundown-Records“ offerierte wiederum frischeste Import-Ware aus den USA. Dafür fuhr Bunke regelmäßig nach Rotterdam, wo es den relevanten Großhändler gab. Es war ja nicht wie heute, wo man per Knopfdruck sofort alles im Briefkasten bzw. in der Mailbox hat. Viele US-Alben erschienen entweder gar nicht oder erst sehr zeitverzögert auf dem europäischen und deutschen Markt. Wenn man überhaupt von denen irgendwoher Wind bekam. Doch Bunke sei Dank: er deckte unseren Vinyl-Bedarf. Als Mailorder-Versender bot er seine Ware ausschließlich im Sounds-Magazin mit Inseraten an.

1976 traf ich ihn erstmalig. Es war Detlef „Ewald“ Diederichsen, der den Anstoß gab, Bunke in seinem Lager und Büro direkt aufzusuchen. Ewald und ich wurden 1967 in Hamburg Hummelsbüttel eingeschult. Ewald war Klassenbester: bereits zu Beginn der 1.Klasse konnte er fließend lesen. Trotzdem freundeten wir uns an, spielten Fußball, tauschten Briefmarken und hörten viel Musik. Bereits mit 10 Jahren gab er die Playlisten in unserer Klasse vor. Mit 12 Jahren sah er Grateful Dead in Hamburg. Sein Einfluss kam von seinem 3 Jahre älteren Bruder Diedrich. Sie hatten ein gemeinsames Kinderzimmer. Über Diedrichs Bett hingen kleine Bilderchen von Popstars, bei Ewald waren es Fußballer. Irgendwann wurde dann eine Wand durch das Zimmer gezogen und ich sah Dietrich nur noch sehr selten.

Als Ewald und ich nun an diesem Sommertag das „Sounds“-Büro betraten, wehte der Hauch der siebziger Jahre durch die Räume. Folk und „progressiver“ Rock war der Sound der Zeit. Es war mindestens so verraucht wie in Werner Höfers Frühschoppen, bei Paul Kuhns Party oder einem Helmut Schmidt-Interview. Ein Typ mit Matte führte uns in Bunkes Lager. Als ich Bunke sah, war mein erster Gedanke: spielt der nicht in der West Coast Pop Art Experimental-Band, bei Van Dyke Parks oder bei Grateful Dead mit? So cool wie der aussieht? Mit Bikeroutfit wäre er auch als Hells Angel durchgegangen. Aber Bunke war alles andere als ein harter Rocker. Er war gutmütig und sensibel – ausgestattet mit einem großen Herz. Er zeigte uns sein Lager und wir tauschten uns über unsere musikalischen Helden aus. Bunke kannte alles, Ewald viel und ich wenig. Ich kaufte mir Robert Hunter’s „Tiger Rose“, ein Album, das ich jahrelang nie wieder in irgendeinem Plattenladen auf der Welt sah.

Ewald und ich verabschiedeten uns von Bunke und wollten die Redaktionsräume verlassen. Doch dann sah Ewald den „Sounds“ Redakteur Jörg Gülden, der uns in sein Büro reinwinkte. Wir trafen ihn erstmalig. Gülden hatte gerade frisch ein Belegexemplar des „Ramones“-Debütalbums ausgepackt, daß einige Wochen später dann offiziell in Deutschland erschien. Er spielte es an und sekundenschnell war klar: das ist eine musikalische Revolution. Die Titel („Blitzkrieg Bop“), die Titellänge (alle kurz), das Cover (s/w und rotzig), das ganze Konzept stellte alles Dagewesene auf den Kopf. Schluss mit Prog-Rock der 70er! Zum Abschluss unseres kleinen Redaktionsbesuches drückte Gülden Ewald noch ein Album von Shawn Philips in die Hand. „Willst Du das für das nächste Heft besprechen?“ fragte er. Das war echte Vertrauenssache, denn bis zu dem Zeitpunkt hatte Ewald nie für ein namhaftes Magazin geschrieben. Wir waren ja auch gerade mal 16 Jahre alt. Ewald nahm den Job an, die Rezension wurde abgedruckt und markierte damit seinen Startschuß als Musikjournalist.

Zurück zu Bunke: ich verlor ihn längere Zeit aus den Augen. Erst nachdem sich meine damalige Band „Die Zimmermänner“ aufgelöst hatte, gründete Ewald die Combo „Medien, Märkte, Meinungen“. Mit Christoph Bunke am Bass. Weitere Mitglieder: Hans Nieswandt an der Gitarre und Gesang, der gerade frisch vom Bodensee nach Hamburg gezogen war, Georg Grav am Schlagzeug, Ewald und mir. Bunke war mittlerweile Tischler und hatte eine kleine Werkstatt in der Gärtnerstraße in Hamburg. Ab und an nahm er Aufträge an. Seine Anfertigungen waren Maßarbeit vom Feinsten. Nur bei der Lieferzeit brauchte man Geduld: Bunke brauchte Zeit. Viel Zeit.

(Medien, Märkte, Meinungen: “Das Jahr der fliegenden Fische” – Live aus der Fabrik. Unveröffentlicht.)

„Medien, Märkte, Meinungen“ blieben leider erfolglos. Wir hatten zwar viel Spaß und ein paar gute Gigs, aber die Kompositionen von Ewald waren viel zu ausgetüftelt und schwierig für uns. Wir lösten uns auf. Bunke bekam aber gleich ein neues Angebot: Andreas Dorau brauchte einen Bassisten für das „Demokratie“-Album. In sieben Nächten spielten wir dieses Album ein. Es gibt ein schönes Video von der gleichnamigen Single. Dorau hatte sich Zugriff auf das Archiv von Rudi Carrell verschafft und bastelte daraus den Clip.

In den 90er Jahren musste Bunke seine Tischlerarbeiten einschränken. Er litt unter Holzstauballergie. Ich arbeitete mittlerweile bei Polygram und bot ihm den Job als „Mädchen für alles“ an. Alles was er im Büro anpackte, setzte er perfekt um. Auch wenn es viel Zeit brauchte. Natürlich wollten wir auch Bunkes Musik-Know-How anzapfen. Er bekam den Auftrag, eine „Best of“ eines Musikers seiner Wahl zusammenzustellen. Das Beste aus Bunkes Sicht. Seine Wahl fiel auf den jamaikanischen Jazzgitarristen Ernest Ranglin. Ranglin kannte – außerhalb von einigen Reggae-Nerds – in Deutschland kein Mensch. Auch wenn er auf unzähligen Reggae- und Ska-Platten unter eigenem Namen oder als Sessionmusiker mitspielte.

Wir wollten das mit Bunkes Best of ändern! Das Basismaterial bestand aus zwei Soloalben von Ranglin und einigen Produktionen des Jazzpianisten Monty Alexander, bei denen Ranglin mitwirkte. Alle Alben waren für das MPS-Label (Musikproduktion Schwarzwald) aufgenommen und waren im Besitz von Polygram. Bunke hatte Carte blanche: Songauswahl und Coverdesign lagen in seiner Verantwortung. Viele Monate später war Bunke dann soweit: das Tracklisting war fertig, ein gemaltes Portrait (von Deutschmark Bob) lag vor, die Liner-Notes waren geschrieben. Die CD konnte endlich erscheinen. Voller Stolz und Hoffnung warteten wir nun auf den verdienten Durchbruch von Ernest Ranglin in Deutschland!

Doch wir warteten vergebens auf den Erfolg. Nur langsam bewegten sich die Verkäufe. Feedback bekamen wir dafür von unverhoffter Seite: innerhalb von zwei Tagen flatterten uns zwei Schreiben von großen Anwaltskanzleien aus New York ins Haus: es waren jeweils die Anwälte von Ernest Ranglin und Monty Alexander. Sie forderten Schadensersatz. Zu Recht. In unserer Euphorie hatten wir die Titel, die ursprünglich unter Monty Alexanders Namen erschienen mal eben unter Ernest Ranglin veröffentlicht. Auch wenn er da mitspielte, war das alles andere als korrekt. Vermutlich lag „das Schmerzensgeld“ für Ernest Ranglin letztlich höher, als sämtliche Tantiemen aus den MPS-Alben. So oder so: die CD ist toll. Ich freue mich bei jedem Hören wieder! Und vielleicht landet Ernest Ranglin doch nochmal einen großen Hit in Deutschland und Bunke wird Bassist bei Jefferson Starship?

http://www.youtube.com/watch?v=RQKlel-CUIs Andreas Dorau: Demokratie. Feat. Christoph Bunke, Moritz von Oswald, Ralf Franke, Kelly

4 Kommentare

  1. Frank Jastfelder am

    Wieder mal eine schöne Geschichte mit so vielen Infos und Hintergründen, die ich noch nicht kannte. Vielen Dank dafür Kelly.

  2. Matthias Spindler am

    Toller Artikel. Die Aufnahme aus der Fabrik entstand übrigens beim Festival “Das Junge Hamburg” am 3. Mai 1986. Initiator war Bernd Begemann. Er spielte dort mit seiner Band “Die Antwort” sowie u.a. auch die Band “Nationalgalerie” mit Niels Frevert. Über die damalige Hamburger Szene berichtete “Spex” in der Juni-Ausgabe.

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